Juni im Kino in der Reitschule Bern
lilo.spahr@lorraine.ch
lilo.spahr at lorraine.ch
Die Jun 3 09:13:11 CEST 2003
Kino in der Reitschule, Bern,
Ein leichtes vorsommerliches Programm verspricht das Kino in der Reitschule
seinem Publikum im Juni.
Da ist zum einen der neue Schweizer Film Halbe Miete von Marc Ottiker, einer
der erfolgreichsten Filme, die dieses Jahr an den Solothurner Filmtagen liefen.
Oder zwei Filme mit Kultstatus, die sich im schnelllebigen, oberflächlichen
Berner-Kinoalltag nicht entfalten konnten.
Der eine, Maelström, hätte es vielleicht noch schaffen können, wäre nicht just
zum Zeitpunkt seines Erscheinens das Kino Cosmos in den Konkurs und mit ihm
dieser schöne Film in den Abgrund gestürzt
Einer meiner Lieblingsfilme am letztjährigen Filmfestival von Locarno war Blue
Moon: Nur gerade eine, höchstens zwei Kinowochen waren dieser Liebes-Road-Movie-
Geschichte mit österreichischem Charme und russischer Schwermut im Berner
Kommerz-Kino beschieden. Leider, denn besonders schön ist der Film auch
deswegen, weil er sich an die Filmgeschichte erinnert, an Eisenstein, an die
Treppe von Odessa. Während im Panzerkreuzer Potemkin die Treppe von Odessa als
Bild staatlichen Terrors und Unterdrückung erscheint, führt sie in Blue Moon
geradewegs hinab ins Schwarze Meer - ins Happy-Loving-End.
Zum ersten Mal finden am 27. und 28. Juni SHNIT - die Berner Kurzfilmnächte -
statt mit Kurz- und Kürzestwerken von Schweizer FilmemacherInnen.
Wir wünschen viel Vergnügen - Lilo Spahr, Kino in der Reitschule, Bern
Programm Juni 2003
Übersicht
Donnerstag, 5. Juni, Freitag, 6. Juni, je 21.00h, Samstag, 7. Juni,
19.00h/21.00h
CH: Halbe Miete, Marc Ottiker, CH 2002, 92Min., 35mm, dt.
Donnerstag 12. Juni und Freitag, 13. Juni, je 21.00h
Kult: Blue Moon, Andrea Maria Dusl, Österreich 2002, 90Min., 35mm, dt.
Donnerstag, 19. Juni und Freitag, 20. Juni, je 21.00h
Kult: Maelström, Denis Villeneuve, Kanada 2000, 89Min, 35mm, Fr/dt
Musik von Charles Aznavour, Tom Waits, Hair
Donnerstag, 26. Juni, 20.30h
Aktuell: Favelas in Brasilien
Prova di danza per una nuova musica. Italien 2002, 54 Min., VHS, OV/engl.
Freitag, 27. Juni und Samstag, 28. Juni, je 21.00h
Shnit – Berner Kurzfilmnächte
Juni 2003 – im Kino
CH Der neue Schweizer Film
Kult Der vergessene Kultfilm
Shnit - Berner Kurzfilmnächte
Donnerstag, 5. Juni, Freitag, 6. Juni, je 21.00h Samstag, 7. Juni, 19.00h und
21.00h
CH: ½ Miete, Marc Ottiker, CH 2002, 92Min., 35mm, dt.
Peter hat sich in den letzten Jahren ausschliesslich mit Computern und dem
Knacken von geheimen Zugangsdaten beschäftigt. Dabei hat er jeden Bezug zur
Realität verloren und auch nicht mitbekommen, dass seine Lebenspartnerin Julie
immer tiefer in die Tablettensucht geschlittert ist. Eines Morgens findet er
sie tot in der Badewanne. Vom Schock gelähmt, verlässt er wie in Trance Berlin.
Der Zufall trägt ihn nach Köln, wo er anfängt, in fremden Wohnungen, ohne das
Wissen der Hauptmieter, ein Schattendasein zu führen. Nur wiederum als geheimer
Eindringling, wenn auch ganz analog, ist er geschützt vor den Erinnerungen, die
ihn jagen und den Gesichtern, die sein schlechtes Gewissen erzeugt. Langsam
findet er den Weg zu echter Kommunikation und aufrichtiger Trauer.
Donnerstag 12. Juni und Freitag, 13. Juni, je 21.00h
Kult: Blue Moon, Andrea Maria Dusl, Österreich 2002, 90Min., 35mm, dt.
Mit Josef Hader, Viktoria Malektorovych, Detlev Buck
Der "Blaue Mond", das sehr seltene Zusammentreffen von zwei Vollmondnächten in
einem Monat, erzeugt eine ganz besondere, geheimnisvolle Stimmung. Das wussten
bereits zahlreiche Musiker, die dieses Phänomen besangen, das wusste auch Jim
Jarmusch, dessen MYSTERY TRAIN in einer ungewöhnlichen Nacht um die von Elvis
gesungenen Version dieses Liedes kreiste, das weiß auch die Pichler-Oma, deren
Lebensweisheiten Josef Hader alias Johnny Pichler in BLUE MOON regelmäßig
zitiert und das weiß natürlich auch Andrea Maria Dusl, die Regisseurin dieses
bemerkenswerten, kleinen Films.
Bezeichnenderweise ist eine leeres Autokino der Ausgangspunkt von BLUE MOON.
Ein osteuropäischer Mafiosi wartet dort schlecht gelaunt, da sich zum einen der
Geldboten verspätet und zum anderen das blonde Callgirl auf dem Beifahrersitz
seines amerikanischen Nobelwagens nicht seinen Vorstellungen entspricht. Als
der Bote Pichler endlich erscheint, jedoch "Verzugszinsen" fehlen, wird die
Situation kritisch, weshalb das Callgirl Shirley den jähzornigen Gangster
kurzerhand außer Gefecht setzt und mit dessen Wagen flüchtet. Eher unfreiwillig
mit dabei ist auf dem Rücksitz der Bote Pichler, der sich überraschend schnell
in sein Schicksal fügt (was angesichts seiner attraktiven Begleitung so
unverständlich nicht ist).
Die Geschichte driftet zwischen Komödie, Tragödie, Liebesgeschichte, Road- und
Buddymovie. Die Regie driftet zwischen spontanem Realismus, hektischem Dogma-
Stil, ruhigen Plansequenzen, kreativem Eigensinn und filmischen Reminiszenzen
(von Eisenstein bis Hitchcock). Die wunderbare Filmmusik driftet zwischen
(wenig) östlicher Folklore, harmonischer Instrumentalmusik und schweren Trip
Hop-Beats. (Michael Haberlander)
Donnerstag, 19. Juni und Freitag, 20. Juni, je 21.00h
Kult: Maelström, Denis Villeneuve, Kanada 2000, 89Min, 35mm, Fr/dt
Musik von Charles Aznavour, Tom Waits, Hair
Diese Geschichte wird von einem Fisch erzählt, einem weisen Fisch, der seit
Urzeiten den Lauf der Dinge kommentiert. Er hält eine hübsche Geschichte parat:
Die von Bibiane Champagne, einer schönen und erfolgreichen jungen Frau, die
sich schuldig macht und auf wunderbare Weise geläutert wird. Bibiane führt eine
Kette von schicken Boutiquen in Montreal und Toronto. Ihr perfektes Leben
stürzt in ein unvorstellbares Chaos, als sie eines nachts einen alten Mann mit
dem Auto anfährt. Der Mann, so entnimmt sie der Zeitung, stirbt. Soll sie den
Vorfall vertuschen, soll sie sich der Polizei stellen? Bibiane bricht mit ihrem
bisherigen Leben und entdeckt neue Dimensionen, neue Horizonte. Alles verändert
seine Bedeutung, als ein Unbekannter in ihr Leben tritt. Bibiane bekommt eine
zweite Chance.
Diese Kamera lässt Marie-Josée Croze kaum Luft zum atmen. Im Vordergrund
herrscht ihr ausdrucksstarkes, verführerisches Gesicht, der Hintergrund
verschwimmt im grellen Blau. Der Film hat eine eigene wundervolle Bildästhetik,
die aus einer Konzentration auf die Details und aus intensiven blaustichigen
Farben besteht. Das Endergebnis sind Pop-Art-Bilder voller Stimmung, die eine
Geschichte lebendig und persönlich vermitteln. Unübertroffen sind die
schwarzhumorigen Kommentare und garantiert unerwarteten Wendungen. "Wir
entschuldigen uns bei unseren norwegischen Freunden für die Klischees, die wir
über Norwegen verwenden". So beginnt der Film und das kann man als Versprechen
für gesalzene Ironie auffassen. (Krsitan Bauer)
Donnerstag, 26. Juni, 20.30!
Aktuell: Prova di danza per una nuova musica. Italien 2002, 54 Min., VHS,
OV/engl.
Dieser Dokumentarfilm über die Favela Manguinhos in Rio de Janeiro thematisiert
in verschiedenen Interviews andere Aspekte zu Polizei- und struktureller
Gewalt - insbesondere gegen die schwarze Bevölkerung als der eben in der
Schweiz angelaufene Cidade de deus. Er tritt aber auch dem Klischee
der "kriminellen, gewalttätigen Favelas in Rio" entgegen, indem die Aktivitäten
der Basisorganisation "Centro de Cooperação e Atividades Populares (CCAP)"
vorgestellt werden: so u.a. ein Gemeinschaftsbildungszentrum, eine Bäckerei,
ein Gemeinschafts-TV, etc. Damit wird gezeigt, dass die Favelas eine
Geschichte, Poesie, Musik, Tanz, aber auch politisches Engagement haben. Es
geht auch um die Stärkung der schwarzen Bevölkerung, indem verschiedene
kulturelle Aktivitäten brasilianisch-afrikanischer Herkunft wieder belebt
werden. Es sind, wie häufig vor allem Frauen, die sich in grossem Masse für
eine Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen.
Zwei Vertreter der Basisorganisation CCAP werden an diesem Abend anwesend sein
und von der Arbeit des CCAP erzählen, der eine ist von ATREVER, dem
Gemeinschafts-TV.
Freitag, 27. Juni und Samstag, 28. Juni, je 21.00h
SHNIT – Berner Kurzfilmnächte
Ab wann ein Film als „lang“ gilt und wie lange er „kurz“ ist entzieht sich
einer Definition. Und es ist nicht anzunehmen, dass diese Frage am Wochenende
des 27./28. Juni in den Brennpunkt des Interesses rückt. Denn dort stehen dann
die zahlreichen Beiträge von Filmschaffenden aus der ganzen Schweiz und dem
nahen Ausland. Aufwendig in Szene gesetzte Produktionen auf 35mm, auf dem
Küchentisch geshnitene Momentaufnahmen und mit viel Herz und wenig Geld
realisierte Werke aufstrebender Filmschaffender spannen einen weiten Bogen, der
die endlosen Möglichkeiten dieses jungen Mediums aufzeigen wird. Ob kurze
Dramen, aufwendige Videoclips, zeitlose Dokumentationen oder experimentelle
Videokunst – sie alle werden auf der Leinwand um die Gunst des Publikums
ringen, welches zum ersten Mal den besten «SHNIT-Kurzfilm» auszeichnen wird.